Hat ein MVZ – und sei es auch nur vorübergehend – keinen (zahn-)ärztlichen Leiter, verliert es den vollständigen Honoraranspruch. Das gilt auch dann, wenn das MVZ zwischenzeitlich weiterhin über eine Zulassung verfügt. Ohne (zahn)ärztliche Leitung kann ein MVZ Leistungen nicht ordnungsgemäß erbringen und abrechnen. Das entschied das Sozialgerichts (SG) München am 29.02.2024 – Az. S 49 KA 5037/23 -.
Sachverhalt:
Die zahnärztliche Leiterin eines zugelassenen zahnmedizinischen MVZ durfte wegen eines vollständigen Beschäftigungsverbots aufgrund und während der Schwangerschaft nicht mehr tätig sein. Drei Monate später teilte das MVZ dies dem zuständigen Zulassungsausschuss für Zahnärzte (ZA) mit. Das MVZ beantragte außerdem, dass die zahnärztlichen Leitung von einer angestellten Zahnärztin übernommen werden solle.
Die Klägerin, ein Krankenkassenverband, beantragte daraufhin gegenüber der zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) eine sachlich-rechnerische Berichtigung aller vom MVZ im Differenzzeitraum erbrachten zahnärztlichen Leistungen. Begründung: das MVZ habe im fraglichen Zeitraum keine zahnärztliche Leitung gehabt. Die KZV lehnte dies ab, weil das MVZ in diesem Zeitraum über eine bestandskräftige Zulassung verfügt habe. Hiergegen legte der Krankenkassenverband Klage ein.
Entscheidung:
Das Sozialgericht München begründete seine Entscheidung im Wesentlichen – hier knapp ausgeführt – so:
Erbringt ein MVZ zahnärztlichen Leistungen, ohne dass das MVZ über eine zahnärztliche Leitung verfügt, verstößt dies gegen § 95 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB V. Nach dem Gesetzeswortlaut muss ein MVZ über eine (zahn-)ärztliche Leitung verfügen. Es sei, so das SG München, nicht ausreichend, dass die vormalige zahnärztliche Leiterin weiterhin Ansprechpartnerin für organisatorische Fragestellungen blieb.
Denn auch gemäß der Gesetzesbegründung zum § 95 Abs. 1 SGB V könne nur ein (zahn)ärztlicher Leiter, der in die Organisations- und Versorgungsstrukturen des MVZ eingebunden ist, tatsächlich auf die dortigen Abläufe Einfluss nehmen und sicherstellen, dass (zahn)ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat ein (zahn-)ärztlicher Leiter die Verantwortung für die Steuerung der Betriebsabläufe sowie eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassen(zahn-)ärztlichen Vereinigung wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung von Leistungsfunktionen und die dazu notwenige Einwirkungsmöglichkeiten erfordern zwangsläufig eine (zahn)ärztliche Präsenz. Hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten habe ein (Zahn-)Arzt nur dann, wenn er selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden ist und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen kann.
Für organisatorische Fragestellungen zur Verfügung zu stehen, könne eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit nicht sicherstellen. Insbesondere könne nicht sichergestellt werden, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden. Damit fehle es an einer zahnärztlichen Leitung, wie sie § 95 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB V ausdrücklich fordert.
Dass das MVZ zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen sei, ändere hieran nichts. Allein der vertragszahnärztliche Status als zugelassenes MVZ berechtigt einen Leistungserbringer nicht automatisch zur kassenzahnärztlichen Tätigkeit. Hierfür seien immer weitere zusätzliche Erfordernisse oder Einschränkungen zu beachten.
Praktische Folgen:
Ein MVZ muss sicherstellen, dass es zu jedem Zeitpunkt einen möglichen Stellvertreter für die (zahn-)ärztliche Leitung bereithält. Nur so kann es adäquat auf einen Wegfall der Leitung zu reagieren. Anderenfalls droht der vollständige Honorarverlust. Es ist unabdingbar, dass ein solcher Vertretungsantrag oder – bei längerer Abwesenheit – die Benennung eines neuen (zahn-)ärztlichen Leiters sofort erfolgt.
Problem: Es ist nicht zwingend einfach, einen Stellvertreter bzw. einen (zahn-)ärztlichen Leiter zu finden. Denn diese Tätigkeit ist mit einem deutlichen Mehraufwand und einem nicht zu unterschätzenden persönlichen Haftungsrisiko verbunden.
Denn der ärztliche Leiter eines MVZ ist persönlich, selbst wenn er die Pflichtverletzung nicht begangen hat, für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Abrechnung sämtlicher Leistungen verantwortlich. Er hat insoweit auch disziplinarisch für die Pflicht zur „peinlich genauen Abrechnung“ gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung einzustehen, dies ergebe sich insoweit aus der Gesamtverantwortung (Sozialgericht München am 21.01.2021 – S 38 KA 165/19 -).
Aufgrund der Größe und Struktur vieler MVZ ist es dem (zahn-)ärztlichen Leiter aber gar nicht möglich und zumutbar, die vollständige Einhaltung aller Abrechnungsvoraussetzungen zu überprüfen.
Nachdem das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 13.12.2023 (Az. B 6 KA 15/22 R) nun bestätigte, dass eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung in ihrem Honorarverteilungsmaßstab auch regeln darf, dass bei einem MVZ der (zahn-)ärztliche Leiter die Abrechnungs-Sammelerklärung zu unterzeichnen hat, ergeben sich aus der Tätigkeit als (zahn-)ärztlicher Leiter zudem auch unmittelbar persönliche strafrechtliche Risiken. Bereits die Unterzeichnung der Abrechnungssammelerklärung stellt die tatbestandsmäßige Handlung (Täuschung) im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (Abrechnungsbetrug) dar (vgl. Landgericht München, Urteil vom 19.04.2018 -15 Ns 566 Js 109123/13 -).