Eine OP-Wunde begutachten und die weitere Behandlung erläutern oder ein therapeutisches Gespräch führen: Videosprechstunden können, gerade bei langen Anfahrtswegen, eine Alternative zum Praxisbesuch sein. Was Ärzte für eine Videosprechstunde benötigen, welche Qualitätsanforderungen gelten und wie die Abrechnung erfolgt, dazu einige MedRecht-Tipps:
Überblick
- Ärztinnen und Ärzte können die Videosprechstunde flexibel in allen Fällen nutzen, in denen sie es für therapeutisch sinnvoll halten. Es gibt keine Einschränkung auf bestimmte Indikationen.
- Die Videosprechstunde ist auch dann möglich, wenn die Patientin oder der Patient zuvor noch nicht bei der Ärztin oder dem Arzt in Behandlung war.
- Die Videosprechstunde können fast alle Arztgruppen einsetzen, seit April 2025 auch Nuklearmediziner – ausgenommen sind nur Laborärzte, Pathologen und Radiologen.
Was Praxen benötigen
Sie benötigen Technik-Standards, über die Sie vermutlich ohnehin bereits verfügen, nämlich eine Internetanbindung mit Firewall, Bildschirm/Display, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher.
- Zertifizierter Videodienstanbieter: Daneben muss die Praxis einen zertifizierten Videodienstanbieter auswählen und sich dort registrieren. Eine Übersicht der möglichen Anbieter stellt die KBV bereit: https://www.kbv.de/697291
- Anzeige / Genehmigung bei der KV: Praxen müssen ihrer KV in der Regel anzeigen, dass sie die Videosprechstunde anbieten und einen zertifizierten Videodienstanbieter nutzen. Sie erhalten dafür von ihrem Anbieter nach der Registrierung eine entsprechende Bescheinigung.
- Das benötigen Patienten: Patienten benötigen neben dem Internetzugang einen PC, ein Tablet oder Smartphone mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher.
Ablauf Videosprechstunde
- Die Praxis wählt einen der zertifizierten Videodienstanbieter aus und registriert sich dort. Der Anbieter stellt weitere Informationen bereit, zum Beispiel dazu, wie die Praxis freie Zeiten für die Videosprechstunde meldet und wie die Anmeldung zu einer Videosprechstunde abläuft.
- Der Patient erhält entweder über die Praxis oder über den Videodienstanbieter einen freien Termin für die Videosprechstunde.
- Vor der ersten Videosprechstunde erklärt der Patient seine Einwilligung – je nach System über den Videodienstanbieter oder direkt über die Praxis.
- Sowohl Patient als auch Arzt oder Psychotherapeut wählen sich bei dem Videodienstanbieter ein. Der Patient wartet im Online-Wartezimmer, bis er zur Sprechstunde dazu geschaltet wird.
- Ist die Videosprechstunde beendet, melden sich beide Seiten davon ab. Der Arzt oder Psychotherapeut dokumentiert die Behandlung in seinem Praxisverwaltungssystem.
Identitätsprüfung
Patienten, die im laufenden Quartal, dem Vorquartal oder noch nie in der Praxis waren, halten zu Beginn der Videosprechstunde ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK) in die Kamera. So kann das Praxispersonal die Identität prüfen und die notwendigen Daten (Bezeichnung der Krankenkasse; Name, Vorname und Geburtsdatum der oder des Versicherten; Versichertenart; Postleitzahl des Wohnortes; Krankenversichertennummer) erfassen. Der Patient bestätigt zudem, dass ein Versicherungsschutz besteht. Für diese Identitätsprüfung ist der Zuschlag Authentifizierung (GOP 01444) berechnungsfähig.
Anzahl der Videosprechstunden
Die Anzahl der Untersuchungen und Behandlungen in der Videosprechstunden ist seit 01.01.2025 nicht mehr begrenzt. Seit April 2025 können Ärzte und Psychotherapeuten mehr bekannte Patienten ausschließlich per Video versorgen und abrechnen. Die Obergrenze der Behandlungsfälle wurde angepasst.
Bekannte Patienten: Ärzte und Psychotherapeuten können bis 50 Prozent ihrer bekannten Patienten (bezogen auf alle Behandlungsfälle einer Praxis) ausschließlich in der Videosprechstunde versorgen. Als „bekannt“ gilt ein Patient, wenn im aktuellen Quartal oder in mindestens einem der drei Vorquartale ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat.
Unbekannte Patienten: Bei unbekannten Patienten beträgt die Obergrenze 30 Prozent bezogen auf alle Behandlungsfälle einer Praxis mit unbekannten Patienten. Als „unbekannt“ gilt ein Patient, wenn weder im aktuellen Quartal noch in den drei Vorquartalen ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat oder die Person noch nie in der Praxis war.
Beide Obergrenzen werden je Praxis (Betriebsstättennummer) angewendet. Somit können einzelne Ärzte oder Psychotherapeuten die Obergrenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass die gesamte Praxis nicht drüber liegt.
Hinweis: Die Obergrenzen gelten nur, wenn Patienten in einem Quartal ausschließlich in der Videosprechstunde versorgt werden. Fälle, bei denen der Kontakt per Video und in der Praxis erfolgt, aber auch Notfälle und TSS-Akutfälle werden nicht mitgezählt.
Qualitätsstandards
Ärzte müssen für Patienten, die sie in der Videosprechstunde versorgen, eine Anschlussbehandlung sicherstellen. Dies kann dadurch erfolgen, dass sie dem Patienten einen zeitnahen Termin in ihrer Praxis anbieten, eine Überweisung zu einem Facharzt ausstellen oder ihn in ein Krankenhaus einweisen, wenn dies medizinisch erforderlich ist.
Terminvermittlungsdienste sind ab September 2025 verpflichtet, Patienten vorrangig eine Videosprechstunde in einer Praxis zu vermitteln, die sich in räumlicher Nähe zu ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort befindet. Das können je nach Wohnort und Arztdichte Fahrzeiten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von einer Stunde und mehr sein.
Das Angebot von Terminen allein zum Zwecke einer bestimmten Leistung, zum Beispiel der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ist unzulässig.
Videosprechstunde im Homeoffice
Ärzte können Videosprechstunden auch außerhalb der Praxisräume anbieten, zum Beispiel zu Hause. Eine Voraussetzung ist beispielsweise ein voll ausgestatteter Telearbeitsplatz in einem geschlossenen Raum. Zudem muss der Arzt auf seine elektronische Behandlungsdokumentation und die Telematikinfrastruktur zugreifen können.
Die Versorgung der Patienten per Video aus dem Ausland ist nicht gestattet.
Krankschreibung in der Videosprechstunde
Das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist in der Videosprechstunde sowohl bei bekannten als auch bei zuvor unbekannten Patientinnen und Patienten zulässig:
- bis zu 3 Tage: unbekannte Patientinnen und Patienten
- bis zu 7 Tage: bekannte Patientinnen und Patienten
Voraussetzung dafür ist, dass die Symptomatik eine Abklärung per Videosprechstunde zulässt. Ein Anspruch darauf besteht jedoch nicht. Eine Folgekrankschreibung mittels Videosprechstunde ist zudem nur dann möglich, wenn die Patientin oder der Patient zuvor wegen derselben Krankheit zu einer persönlichen Untersuchung in der Praxis war. Für das Zusenden der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können Praxen eine Portopauschale abrechnen (Muster 1: GOP 40128 oder Muster 21: GOP 40129).
Verordnungen in der Videosprechstunde
Die Verordnung von Leistungen ist möglich, wenn die Erkrankung des Patienten dies nicht ausschließt. Voraussetzung ist, dass der Patient der Praxis bekannt ist und der Arzt die verordnungsrelevante Diagnose und die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder Mobilität aus der persönlichen Untersuchung in der Praxis oder im Hausbesuch kennt.
Das Verschreiben von Arzneimitteln ist auch bei unbekannten Patienten grundsätzlich möglich, sollte jedoch nur ausnahmsweise in medizinisch vertretbaren Einzelfällen erfolgen. Betäubungsmittel dürfen jedoch in diesem Fall nicht verordnet werden.
Ob eine Verordnung in der Videosprechstunde möglich ist, entscheidet der Arzt. Es bedarf in jedem Einzelfall einer umsichtigen Abwägungsentscheidung darüber, ob die Schilderungen des Patienten bei der Befundung insgesamt ausreichend sind, um eine Verordnung ohne unmittelbar persönlichen Kontakt auszustellen. Kann der Arzt die Notwendigkeit nicht ausreichend per Video überprüfen, sollte er den Patienten in die Praxis einbestellen, um dann dort gegebenenfalls eine Verordnung auszustellen.
Abrechnung und Vergütung
- Die Videosprechstunde wird über die jeweilige Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale vergütet. Die Pauschale nebst Zuschlägen wird in voller Höhe gezahlt, wenn im selben Quartal ein persönlicher Kontakt erfolgt.
- Ist dies nicht der Fall und der Kontakt erfolgt ausschließlich per Video, werden die Pauschale und gegebenenfalls die sich darauf beziehenden Zuschläge gekürzt (Abschläge je nach Fachgruppe von 20, 25 und 30 Prozent). Ärzte kennzeichnen solche Behandlungsfälle in ihrer Abrechnung mit der Pseudo-GOP 88220.
- Für bekannte Patienten, die in einem Quartal ausschließlich in der Videosprechstunde behandelt werden, erhalten Ärzte und Psychotherapeuten auf die gekürzte Pauschale einen Zuschlag von 30 Punkten. Der Zuschlag wird von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung zugesetzt.
- Daneben können Praxen weitere Leistungen, unter anderem für Gespräche und Einzel- oder Gruppenpsychotherapien abrechnen, die per Videosprechstunde erfolgen. Hierfür gibt es keine patientenübergreifende Begrenzung; so können Ärzte einzelne Leistungen auch ausschließlich per Video durchführen.
- Für den Versand einer Verordnung an den Patienten rechnen Ärzte und Psychotherapeuten die Kostenpauschale 40128 ab.
- Außerdem steht Ärzten und Psychotherapeuten je durchgeführter Videosprechstunde eine Technikpauschale zur Finanzierung der Kosten für den Videodienst zu. Dafür können sie die GOP 01450 (40 Punkte) abrechnen. Der Zuschlag ist pro Quartal auf maximal 1.899 Punkte, ab 1. Juli 2025 auf 700 Punkte begrenzt.
- Für den Mehraufwand bei der Authentifizierung neuer Patienten in der Videosprechstunde gibt es den Zuschlag 01444 (10 Punkte) zur Grund-, Versicherten- oder Konsiliarpauschale.