MedRecht – Haftung bei unbrauchbar gewordenen Impfstoffen

Das Risiko für Lagerung und Verwendung von Impfstoffen, die über den Sprechstundenbedarf bezogen wurden, trägt der jeweilige Vertragsarzt. Das entschied das Sozialgericht (SG) Marburg (Az.: S 1 KA 25/17). Denn auch solche Impfstoffe unterliegen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Sprungrevision ist vor dem Bundessozialgericht anhängig (BSG, Az.: B 6 KA 14/21).

Eine Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft = BAG) hatte über die Sprechstundenbedarfsvereinbarung Impfstoffe bezogen. Diese stehen bis zur Applikation im Eigentum der Krankenkassen.

Die Ärzt*innen lagerten die Impfstoffe ordnungsgemäß. Allerdings hatte der Kühlschrank einen technischen Defekt. Die Folge: Impfstoff im Wert von fast 25.000,00 € Euro war zu vernichten. Die Krankenkassen verlangten Regress in Höhe dieser 25.000,00 €.

Die Ärzt*innen müssten für diesen Schaden haften (§ 280 BGB), soweit er nicht durch höhere Gewalt eingetreten sei, so die Krankenkassen. Hierfür müssten die Ärzt*innen eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen.

Das sah die Prüfungsstelle anders. Gegen deren Entscheidung klagte die Berufsausübungsgemeinschaft und trat der Ansicht der Krankenkassen entgegen. Eine Haftung scheide aus, weil die Ärzt*innen nicht gegen eine Pflicht verstoßen hätten.

Das SG Magdeburg wies die Klage ab. Die Prüfungsstelle sei zuständig (§§ 106 Abs. 3 Satz 1 und 106c Abs. 3 SGB V) und entscheide, ob Vertragsärzte gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen haben und welche Maßnahmen in einem solchen Fall zu treffen seien.

Aus Sicht des SG Marburgs bestehe die Unwirtschaftlichkeit darin, Impfstoffe bezogen zu haben, ohne dass sie zweckentsprechend verbraucht werden konnten. Das Risiko für die bestimmungsgemäße Lagerung und Verwendung trage abseits besonderer Umstände der anfordernde Vertragsarzt. Letzteres könne sich etwa aus den Vorgaben zu wirtschaftlichen Gebindegrößen ergeben oder bei unvorhersehbarem Erlahmen des Impfinteresses. Dies ergebe sich seit 2019 auch aus § 106b Abs. 1a SGB V. Danach gelte bei Verordnungen saisonaler Grippeimpfstoffe eine angemessene Überschreitung der Menge gegenüber den tatsächlich erbrachten Impfungen grundsätzlich nicht als unwirtschaftlich. Gleiches gelte bei der Lieferung unbrauchbarer Impfstoffe. Solche Ausnahmen sah das Gericht im vorliegenden Fall jedoch nicht. Auf ein Verschulden komme es beim Regress ohnehin nicht an (BSG, Urt. v. 20.10.2004 – B 6 KA 65/03 R, st. Rspr.).

Das Sozialgericht hat die Sprungrevision zugelassen, die nun beim BSG anhängig ist (B 6 KA 14/21).

Bewertung der Entscheidung

Dem Sozialgericht ist beizupflichten, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot eine letztlich verschuldensunabhängige Haftung beinhalte.

Unbefriedigend ist aber, dass nur die etwas zirkelschlüssige Begründung blieb, dass die klagende Berufsausübungsgemeinschaft den Schaden zu tragen hat, weil sie ihn eben zu tragen hat, weil die Unmöglichkeit der Applikation eben unwirtschaftlich sei.

Es ist nicht zu leugnen, dass die Krankenkassen und damit die Solidargemeinschaft nicht das Lagerrisiko für Impfstoffe tragen. Andererseits war gerade kein Fehlverhalten der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft festzustellen. Und deshalb überzeugt auch ihre vollständige Haftung nicht. Gerade in diesem Fall hätte sich eine Quotelung aufgedrängt.

Erfreulicherweise hat das Sozialgericht die Sprungrevision zugelassen, so dass das BSG noch genauere Kriterien für die Risikozuordnung und ein Abweichen von dieser aufstellen kann. Dies gerade auch in Ansehung der aktuellen Pandemie.

Die Krankenkassen haben verkannt, dass sowohl die Berufs- als auch die Betriebshaftpflichtversicherungen einen Schaden nur dann regulieren, wenn dem Versicherten auch eine Pflichtverletzung anzulasten ist. Dies war hier aber gerade nicht der Fall. Ohnehin ist es rechtlich zweifelhaft, eine Außenhaftung der Arztpraxis anzunehmen mit der Begründung, diese könne den Schaden bei einer Haftpflichtversicherung liquidieren.

Auswirkungen

Berater*nnen sollten die Versicherbarkeit des Risikos des unverschuldeten Unterganges von Gegenständen, die nicht der Arztpraxis gehören, prüfen. Mangels Verschuldens dürften hier weder die Berufs- noch die Betriebshaftpflichtversicherungen einstandspflichtig sein. Vielmehr kommt eine Einstandspflicht der Inhaltsversicherung („Hausrat“) der Praxis in Betracht.

Am Markt gibt es Anbieter, die auch abseits von Feuer-, Einbruchdiebstahl- oder Leitungswasserschaden Kühlgut versichern. Gerade bei Praxen mit hohen Impfstoffvorräten müsste man diese ggf. anpassen, damit bei den erheblichen Werten des gelagerten Kühlgutes keine Unterversicherung eintritt.

Gleiches gilt übrigens auch für die Absicherung gegen die Gefahr des Unterganges von Leasing- oder sicherungsübereigneten Geräten in der Arztpraxis.